Am dritten Tag platzt einem der Reisegäste der Kragen. Hamid, unser marokkanischer Reiseleiter, habe doch heute morgen gesagt, wir seien um 18 Uhr wieder zurück am Hotel in Agadir. Und nun ist es 18 Uhr und wir stehen 60 Kilometer vor Agadir an einer Tankstelle, wo die Gäste auch noch einmal die Toilette benutzen können. Vor halb acht seien wir bestimmt nicht im Hotel, dann gäbe es sicher gleich Abendessen – er wollte eigentlich noch einmal zum Strand hinunter. Daraus werde nun ja wohl nichts – sehr ärgerlich das Ganze.

Wenn es Allah gefällt

Grundsätzlich hat der Gast ja recht mit seiner Klage – er hat nur eben nicht genau hingehört auf das was Hamid versprochen hat: „Und dann sind wir gegen 18 Uhr zurück, insh’Allah!“

Insh’Allah. Wenn es Allah gefällt. Das ist ein sehr wichtiger Punkt. Denn Allah hat es an diesem Tag, bei unserem Ausflug in das Anti-Atlas-Gebirge, auch gefallen, uns immer neue und unbedingt mit der Kamera festzuhaltende Dinge neben die Straße zu stellen. Da war zum einen die faszinierende gebirgige Landschaft, schroff und sanft in einem, unwirtlich auf dem ersten Blick und doch bewohnt. Da waren Wehrdörfer oben auf Bergkuppen. Niedliche Lastesel an der Straße. Moscheen an einem See. Ziegen, die auf den Argan-Bäumen herumkletterten. Und dann um Tafraoute herum beeindruckende Felsformationen, in die hinein Dörfer gebaut waren. All das musste genau betrachtet und abgelichtet werden. Die Zeiten, bei denen die Anzahl der mitgeführten Rollfilme die Fotografierwut begrenzte, sind ja lange vorbei.

Die afrikanische Zeit

Und also hat es Allah auch gefallen, dass aller paar Kilometer von hinten aus dem Bus der laute Ruf erscholl: „Anhalten, Fotostopp!“ – nicht zuletzt von dem jetzt so erbosten Reisegast. Und so ein Fotostopp dauert nun einmal und ein Reisebus ist kein Rennwagen – um rechtzeitig im Hotel sein zu können, hätten Hamid und der Fahrer die Rufe von hinten ignorieren müssen, dann wären die Gäste erst recht verärgert gewesen. Und also kommen wir tatsächlich erst gegen halb 8 im Hotel an und es regnet, es hat den ganzen Nachmittag schon geregnet in Agadir, mit dem Strandspaziergang wäre es ohnehin nichts geworden.

Mit der Zeit ist es in vielen afrikanischen Ländern so eine Sache. Nicht umsonst hört man dort immer wieder das Sprichwort: „Die Europäer haben die Uhren, die Afrikaner haben die Zeit.“ Da ist etwas dran, viel wichtiger als das pünktliche Ankommen an einem bestimmten Ort bei Einhalten eines genau festgelegten Fahrplans auf dem Weg dorthin ist es, das was auf dem Weg, im Verlauf des Tages passiert, zu genießen. Eine Einstellung, die der deutsche Tourist oft erst lernen muss – aber nach ein paar Tagen schafft man das. Zumal er irgendwann erstaunt feststellt, dass tatsächlich das gesamte Programm geschafft worden ist, ja, dass er gern an der einen oder anderen Stelle noch länger geblieben wäre. Warum nur hat auch in Afrika der Tag nicht mehr als 24 Stunden?

Und spätestens, als er nahe Erfoud vom Kamel steigt, um in den Dünen der Sahara den Sonnenuntergang zu genießen, ist auch der vor ein paar Tagen so erboste Reisegast mit sich, Hamid, dieser Reise und wahrscheinlich der ganzen Welt im Reinen.

Zeit für den Sundowner

Überhaupt: der Sonnenuntergang. Der stellt in Afrika eine Grenze dar, welche Reiseleiter und Busfahrer nur im absoluten Notfall übertreten. Gerade im südlichen Afrika, in Namibia beispielsweise, ist es zwingend notwendig, rechtzeitig an der Lodge zu sein, damit die Gäste auf einem etwas erhöhten Aussichtspunkt mit einem gekühlten Getränk in der Hand den Sonnenuntergang genießen können.

Der „Sundowner“ – das ist ein festes Ritual, an dem nicht gerüttelt werden darf, der ist der Endpunkt des Tagesfahrplans. Und sind auf dem Weg zu diesem Endpunkt auch Verspätungen und Umleitungen eher die Regel als die Ausnahme – in diesem Moment ahnt man, dass das afrikanische Verständnis von Zeit einiges für sich hat.

Fotos & Text von Mathias Ullmann


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